Forschendes Lernen wird im internationalen Kontext als research-based learning, inquiry-based learning oder schlicht inquiry learning bezeichnet. Vergangene Woche besuchten wir das EARLI SIG 20 Meeting Inquiry Learning in Gent, Belgien.
Die internationale Landschaft des inquiry learning ist, wie zu erwarten, breit aufgestellt und hat doch einen klaren Fokus auf der Schulforschung. Unser Poster (hier) zu den Hintergründen und Zielen, die dem forschenden Lernen an der Hochschule zugrunde gelegt werden, war gewissermaßen ein Exot. Erstaunlicherweise lagen uns die Themen der zeitgleich stattfindenden „Partner“-SIG 26 Argumentation, Dialogue and Reasoning zum Teil sogar näher. Erklären lässt sich das mit dem meist eng geführten Verständnis von inquiry als Experiment in naturwissenschaftlich-technischen Fächern. Unser Forschungsbegriff, der auch theoretisches Argumentieren einschließt, fand somit eher seinen Niederschlag in diesen Sessions.
Interessant ist auch die Geschichte der SIG 20, die zunächst als Computer-Supported Inquiry Learning startete, sich seit 2015 aber dem gesamten Feld ohne spezielle Einschränkung auf die Technologie-Unterstützung widmet. Dennoch waren nach wie vor viele Beiträge technologie-orientiert. Ein Tool, das unsere Aufmerksamkeit erregte, ist die GoLab-Plattform, die die Gestaltung virtueller Forschungslabors ermöglicht. Lehrende können ihre eigenen Lernumgebungen entlang der Struktur eines Forschungsprozesses gestalten und Lernende anhand von Apps zu verschiedenen Aktivitäten anregen (mehr dazu hier).
Sehr präsent war auch der Begriff der guided inquiry bzw. des scaffolds und der orchestration, also der Unterstützung bzw. Begleitung des forschenden Lernprozesses. Ard Lazonders Metastudie zu Effekten dieser Unterstützung (guidance) ist hier erwähnenswert. Das angeleitete Lernen spielt im Schulkontext eine größere Rolle als an der Hochschule. Trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken, wie viel Führung Studierende benötigen, um sich durch einen Forschungsprozess zu manövrieren. Dieser Frage gehen wir in einem gerade entstehenden Text nach, der sich der Überarbeitung eines Rahmenmodells von forschendem Lernen (nach Angela Brew, 2013, hier verfügbar) widmet und die Ausprägung der studentischen Autonomie durch verschiedene didaktische Entscheidungen in den Mittelpunkt stellt.
Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Rolle von Emotionen für das forschende Lernen genauso wie für das Argumentieren. Emotionen zeigen vor allem bei kontroversen Diskussionen in Lehrsituationen ihre Wirkung und können von Lehrenden aufgegriffen werden, um Lerneffekte zu erhöhen, z.B. durch die „Sekundarisierung“ der eigenen Emotionen und ihrer Konzeptualisierung durch Distanznahme (Vortrag von Natalie Muller-Mirza, Paper zum Thema hier). Eine Recherche zu Emotionen im Forschungsprozess schließen wir an diese erste Anregung an.
Insgesamt war die Tagung für FideS ein Blick über den Tellerrand der deutschen Hochschullandschaft hinaus in europäische, US-amerikanische und sogar australische Bildungskontexte. Es zeigt sich, dass die Forschung zum inquiry learning lernpsychologisch-evidenzbasiert geprägt ist und zum Großteil experimentell angelegte Studien zu einzelnen Aspekten im Klassenzimmer durchgeführt werden. Hier kann der deutschsprachige bildungstheoretische Diskurs und der Fokus auf die Hochschullehre eine sinnvolle Ergänzung sein – so der Anschluss an den internationalen Sprachgebrauch gelingt.